
Zwischen den Mauern der Kaiserburg
Sie kam zu einem Städtetrip nach Nürnberg und hatte den Aufenthalt gut geplant, so dass sie die Sehenswürdigkeiten in Nürnberg in Ruhe hätte anschauchen können. Hier ist ihr Kurzurlaub in Nürnberg der Planung zu sehen.
Nürnberg besuchen > folge dieser Story in dieser Reihenfolge:
- 1. > Ein seltsames Erlebnis auf der Nürnberger Kaiserburg – Du befindest dich hier
- 2. > Seltsame Eindrücke am Hauptmarkt und der Frauenkirche
- 3. > Unheimlich Nürnberger Dokumentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände
Diese Geschichte wirkt wie eine geheimnisvolle Mischung aus historischem Mysterium und übernatürlicher Erfahrung. Kurz zusammengefasst geht es um eine Touristin in Nürnberg, die bei einem Besuch der Kaiserburg eine mysteriöse Begegnung hat.
In der morgendlichen Stille und dem Nebel spürt sie eine eigenartige Spannung in der Luft. Als sie sich dem tiefen Brunnen nähert, glaubt sie, einen Schatten oder eine historisch gekleidete Gestalt zu sehen – einen Mann mit einem ledernen Kästchen, der gehetzt wirkt. Neugierig folgt sie ihm durch die alten Mauern der Burg und gelangt an einen unbekannten Innenhof, wo eine alte Steintafel mit einer rätselhaften Inschrift steht:
„Die Wahrheit ruht im Schatten … Kaiser, König, Bote … sie alle verbergen …“
Plötzlich ist der Mann verschwunden – und zurück bleibt nur ein elektrisierendes Knistern in der Luft.
Vielleicht war es eine Zeitverschiebung, ein Geist oder ein verborgenes Geheimnis der Burg. Vielleicht ist die Touristin einer alten Legende oder Verschwörung auf die Spur gekommen, die bis in die Zeit der Kaiser zurückreicht.
Was denkst du – war es eine paranormale Erscheinung oder steckt ein reales Geheimnis dahinter?
Vielleicht hast auch Du in irgendeiner Stadt ein Erlebnis gehabt und es wäre schon wenn Du dieses mit uns teilen würdest. 👉 Geschichte teilen.
Zwischen den Mauern der Kaiserburg in Nürnberg
(9:00–11:30 Uhr) das war um diese Zeit geplant, aber aus welchen Grund auch immer gelangte sie schon in den frühen Morgenstunden dorthin.
Kaum hatte ich an jenem Morgen den Burghof der Kaiserburg Nürnberg betreten, spürte ich eine eigentümliche Spannung in der Luft – fast so, als hätte jemand eine schwingende Saite zum Klingen gebracht. Zu dieser frühen Stunde lag ein stiller Nebel über den Zinnen, der die alten Mauern wie in einen geheimen Schleier einhüllte.
Ich wanderte vorbei am tiefen Brunnen, wo einst die Kaiser und Könige ihren Durst stillten. Uralte Legenden flüstern, dass man dort, in der Dunkelheit des Brunnenschachts, die Geschichte der Burg hören könne, wenn man nur genau hinhört. Neugierig beugte ich mich vor, um in die Tiefe zu blicken – da huschte plötzlich ein Schatten an der Mauer vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich einen Mann in altertümlicher Gewandung: Ein weites Gewand, ein ledernes Kästchen in der Hand und ein hastiger Blick über die Schulter.
In einem Anflug von Forschergeist folgte ich dem Schemen um eine Ecke, vorbei am Sinwellturm, der mit seinem runden Mauerwerk wie ein Wächter über der Stadt thront. Überall hingen Schautafeln über Kaiser Barbarossa und Kaiser Sigismund, die hier residierten – doch der Mann schien davon unberührt, ja fast gehetzt. Im nächsten Augenblick fand ich mich in einem kleinen, unscheinbaren Innenhof wieder, den ich nie zuvor gesehen hatte. Dort, unter einer rankenden Weinrebe, stand eine alte Steintafel mit verwitterten Buchstaben.
Plötzlich war der Mann verschwunden – nur ein leises Knistern in der Luft blieb zurück, und jener sachte, elektrische Kribbeleffekt, den man spürt, wenn ein Gewitter in der Nähe ist. Ich beugte mich näher zu der Steintafel und erkannte in den verblichenen Lettern eine unvollendete Inschrift:
„Die Wahrheit ruht im Schatten … Kaiser, König, Bote … sie alle verbergen …“
Doch der Text brach abrupt ab, als wäre die Steintafel vor Jahrhunderten mitten im Wort zerbrochen. In diesem Moment pochte etwas Uraltes und zugleich Rätselhaftes in meinem Kopf. War dies ein vergessenes Geheimnis der Kaiserburg – ein Hinweis auf verborgene Kammern oder Dokumente, die einst das Schicksal des Reiches hätten ändern können?
Der Nebel begann sich plötzlich zu lichten, und das seltsame Prickeln in der Luft verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. Die Burgglocken schlugen zehn. Ich sah mich um, doch von dem Mann und seiner ledernen Kiste war weit und breit keine Spur. Als hätte die Zeit selbst ihn verschluckt.
In den folgenden Minuten versuchte ich, die alte Inschrift zu entziffern. Doch je mehr ich die Zeichen zu verstehen glaubte, desto schneller entglitt mir ihre Bedeutung, als wollte ein unsichtbarer Strom meine Gedanken verwirbeln. Letztendlich blieb mir nur das Gefühl, dass hier zwischen 9:00 und 11:30 Uhr etwas Unglaubliches passiert war – eine flüchtige Begegnung mit einem längst vergessenen Boten, dessen Auftrag in den dunklen Gängen der Kaiserburg weiterlebt.
Und so kehrte ich hinaus in den belebten Vorhof, wo Touristen lachten und Kameras klickten. Niemand ahnte, dass hinter den Sonnenstrahlen und den dicken Mauern ein Rätsel schlummerte – ein Rätsel, das nur jenen erscheint, die mit offenem Geist und wachem Herz durch die Geschichte wandeln.
Eines ist sicher: Wer am Vormittag durch die Gassen der Kaiserburg schlendert, sollte nicht nur den Blick für die stolzen Türme haben, sondern auch für das, was zwischen den alten Steinen verborgen liegt – denn dort fließt noch immer ein Hauch von Vergangenheit durch die Zeit und entführt uns in Geheimnisse, die selbst Jahrhunderte später nie ganz gelüftet werden.
Gerade als ich in den belebten Vorhof trat, fiel mir auf, dass mein Herz noch immer schneller schlug als gewöhnlich. Ich konnte den Gedanken an den flüchtigen Schatten und die unvollendete Inschrift nicht abschütteln. Für einen Moment überlegte ich, ob ich vielleicht nur einer Laune meiner Fantasie aufgesessen war – doch in meiner Jackentasche entdeckte ich plötzlich ein kleines, zusammengefaltetes Blatt Papier. Es war mir nicht bewusst, dass ich irgendetwas aufgehoben hätte …
Behutsam öffnete ich das vergilbte Blatt. Darauf stand eine hastig hingeworfene Skizze eines Raumes, der irgendwo in den Gemäuern der Kaiserburg liegen musste. Darunter eine abgebrochene Zeile in altdeutscher Schrift:
„… folge dem Flüstern des Steins …“
Noch während ich die rätselhaften Worte las, hörte ich einen sanften Räusperer hinter mir. Ein älterer Herr in abgewetztem Museumsführer-Outfit blickte mich über den Rand seiner runden Brille hinweg an. In seinen Augen blitzte eine Art wissendes Lächeln. „Sie scheinen etwas zu suchen?“, fragte er leise und deutete mit seinem Kinn auf das Stück Papier in meiner Hand.
Er stellte sich als Herr Hasler vor, ein langjähriger Kenner der Kaiserburg. Behutsam nahm er die Skizze in die Hand, betrachtete sie eindringlich und raunte: „Diesen Gang gibt es wirklich … er ist auf kaum einem offiziellen Plan zu finden. Nur wenige wissen davon.“
Neugierig folgte ich ihm zurück in das Innere der Burg. Wir passierten den Rittersaal mit den kostbaren Wandteppichen, die einst Kaiser und Könige beeindruckten, und schlängelten uns dann durch einen schmalen, fast unscheinbaren Gang. An den Wänden flackerten spärliche Glühbirnen, deren Drähte wie glühende Fäden in einem Labyrinth wirkten.
Schließlich erreichten wir eine schlichte Holztür. Als Herr Hasler den rostigen Schlüssel ins Schloss steckte, meinte ich ein leises Surren zu hören – fast wie das Knistern statischer Elektrizität, das an Tesla erinnerte. Mit einem Ruck öffnete er die Tür und gab den Blick frei auf einen verborgenen Raum.
In der Mitte thronte ein steinernes Podest, darauf ein geschnitztes Kästchen, umgeben von uralten Dokumenten und pergamentartigen Schriften. Ein vertrautes Prickeln schoss mir den Rücken hinauf, als wäre hier dieselbe Energie am Werk wie im Inneren des Brunnenschachtes. „Das ist der Botenraum“, flüsterte Herr Hasler. „Man sagt, ein kaiserlicher Geheimkurier habe hier einst Dokumente versteckt, die den Lauf der Geschichte hätten ändern können.“
Vorsichtig trat ich näher. Auf dem Kästchen war erneut das unvollendete Symbol des zerbrochenen Steins, wie jene Inschrift zuvor:
„Die Wahrheit ruht im Schatten …“
Ich berührte den Deckel, und ohne Vorwarnung klappte er mit einem leisen Knarren auf. Darin lag eine mit Siegelwachs verschlossene Pergamentrolle. Das Wappen darauf war halb verwittert, doch ich erkannte Fragmente eines Doppeladlers. Mir stockte der Atem – es schien, als wäre diese Botschaft seit Jahrhunderten unbeachtet geblieben.
Mit zitternden Fingern löste ich das alte Siegel. Darunter kam ein Text in verblasster Tinte zum Vorschein:
„Wer diese Zeilen findet, möge wahren, was mein Auftrag war. Wahrheiten sind gefährlich, wenn die Mächtigen sie fürchten. Mögen Kaiser, König und Bote einst ruhen – doch das Vermächtnis wird bleiben. Folgt dem Flüstern des Steins, wo Geschichte und Gegenwart sich berühren …“
Die pergamentene Schrift endete abrupt, als hätte der Verfasser sie mitten im Satz abgebrochen.
Herr Hasler atmete tief durch und trat dann ehrfürchtig zurück. „Was immer das Geheimnis war, es ist noch nicht gelüftet“, sagte er leise. „Vielleicht ist es an der Zeit, dass jemand es nun fortführt.“
Die Uhr in der Ferne schlug zwölf, und das Sonnenlicht fiel durch ein schmales Fenster auf die staubigen Regale. Die Schatten der Kaiserburg wippten auf den steinernen Mauern, als wollten sie bestätigen, dass hier eine längst vergessene Geschichte in diesem Raum weiterlebte.
Während ich das Pergament vorsichtig wieder zusammenrollte, spürte ich tief in mir dieselbe Spannung, die ich an jenem Morgen gefühlt hatte. Vielleicht war dies kein zufälliges Erlebnis. Vielleicht wartete das Geheimnis der Kaiserburg genau auf mich – auf jemanden, der offen genug war, eine Botschaft aus der Vergangenheit zu empfangen und sie in die Zukunft zu tragen.
In diesem Augenblick wusste ich: Meine Begegnung mit dem rätselhaften Boten war kein Ende, sondern erst der Anfang eines Mysteriums, das zwischen 9:00 und 11:30 Uhr seinen Schatten warf – und nun mit dem Schlag der Mittagsglocken in meinem Herzen weiterlebte.
Herr Hasler und ich standen immer noch in dem verborgenen Raum, dessen Wände vor uralten Pergamenten und vergessenen Schriften nur so überquollen. Gerade hatte ich das geheimnisvolle Dokument in meinen Händen gehalten, als mir plötzlich ein merkwürdiger Geruch in die Nase stieg. Er war nicht unangenehm, eher metallisch und zugleich süßlich – wie ozonhaltige Luft nach einem Gewitter.
In diesem Moment spürte ich ein Kribbeln, das mich an den leisen Stromstoß erinnerte, der mich schon am Vormittag erfasst hatte. Herr Hasler rief leise meinen Namen, doch ich hörte ihn wie durch ein Rauschen. Die Luft um uns begann zu flimmern, so als ob Lichtwellen plötzlich durcheinanderwirbelten. Und dann passierte es:
Mit einem unheimlichen Knistern zog eine dünne Nebelschicht quer durch den Raum – und wo sie sich verzog, stand eine Gestalt, die ich nur aus dem Augenwinkel kannte: der alte Bote in historischer Gewandung, den ich zuvor gesehen hatte! Genau denselben ledernen Behälter hielt er nun in den Händen, das Gesicht halb im Schatten, die Augen unruhig.
Herr Hasler trat einen Schritt zurück und stieß überrascht die Luft aus: „Das kann doch nicht sein …“
Die Gestalt sprach kein Wort, schien uns jedoch wahrzunehmen. Sein Blick glitt von mir zu dem Pergament in meinen Händen, dann zurück zu seinem Kästchen. Ich konnte nicht sagen, ob er erschrocken oder erleichtert wirkte.
Einen Atemzug lang blieb alles still. Dann erhob sich ein flüsterndes Raunen, das schien direkt aus den Mauern zu kommen – als würde die Kaiserburg selbst zu uns sprechen. Die Fenster im Verborgenen Raum waren geschlossen, doch ein plötzlicher Luftstoß ließ Pergamente aufflattern und alte Wachssiegel vom Tisch rollen.
Die Erscheinung schritt langsam auf mich zu. Anstatt mir jedoch das Kästchen anzubieten, öffnete er es mit eleganter Bewegung. Darin lag etwas, das wie ein ungewöhnlich geformtes Fragment aussah – ein kleiner Stein, halb poliert, halb roh. Er erinnerte an das Symbol, das wir zuvor an der Steintafel und auf dem Deckel gesehen hatten: der zerbrochene Stein.
Als ich die Hand ausstreckte, glitt ein Flackern über das Gesicht des Mannes – fast wie ein Lächeln, aber auch wie eine Warnung. Er hielt mir den Stein hin, doch in dem Moment, als meine Finger ihn berührten, ging ein Ruck durch meine Hand, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen. Ein blendendes Licht flammte auf.
Für Sekundenbruchteile sah ich Bilder von Jahrhunderte alten Szenen: Kaiserliche Prozessionen, geheime Ratsversammlungen, Wachen, die in Eile Schriftstücke transportierten, und im Hintergrund immer wieder diese Gestalt – mal als Kurier, mal als Beobachter. Es war, als wäre er durch die Geschichte selbst gewandert, immer auf der Suche nach dem richtigen Augenblick, seine Botschaft zu überbringen.
Dann verlosch das Licht so abrupt, wie es gekommen war. Der Bote war verschwunden. Nichts wies mehr auf seine Gegenwart hin, abgesehen von dem Steinfragment, das nun in meiner offenen Handfläche ruhte. Herr Hasler wirkte blass; er starrte auf das Objekt und murmelte etwas über „Zeitschatten“ und „geisterhafte Zeugen der Geschichte“.
In dem Augenblick spürte ich das nächste Merkwürdige: Der Stein schien warm zu sein – nicht unangenehm, eher wie eine behutsame, lebendige Hitze. Fast wie ein pulsierendes Herz. Und dann spürte ich, wie sich in meinem Kopf ein Gedanke formte – ein einziger Satz, der weder von mir noch von Hasler zu stammen schien:
„Führe zu Ende, was einst begann.“
Die Worte hallten nach und erfüllten mich mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neugier. Ich wusste, dass dies keine gewöhnliche Begegnung war – hier ging es um mehr als verlorene Dokumente. Die Geschichte der Kaiserburg hatte einen Riss in der Zeit, und ich war gerade mitten hindurchgefallen.
Als ich mich zu Herrn Hasler umdrehte, war sein Blick voller Fragen. Er wirkte nicht etwa ängstlich, sondern entschlossen, als hätte er auf diesen Moment gewartet. „Wir sollten den Stein genauer untersuchen“, sagte er, seine Stimme beinah feierlich. „Vielleicht verbirgt sich darin der Schlüssel zu dem Rätsel, das man so lange vergraben glaubte.“
Wieder schlug die Turmuhr, diesmal die Zwölfte Stunde plus einige Minuten, und draußen ertönte das Stimmengewirr von Touristen, die kaum ahnen konnten, was in diesem abgelegenen Raum geschah.
An jenem Tag, zwischen 9:00 und 11:30 Uhr hatte alles begonnen – doch jetzt, weit über die Mittagszeit hinaus, wusste ich, dass dieses Mysterium nicht enden würde, bis der Stein sein Geheimnis preisgab. Und so begannen wir zu begreifen, dass die Kaiserburg mehr als nur eine historische Sehenswürdigkeit war: Sie war ein Knotenpunkt von Zeiten und Schicksalen, der seine eigenen Wege ging.
Ein merkwürdiges Ereignis war geschehen – eines, das uns an der Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart hielt. Und noch während ich den warmen Stein in meinen Händen spürte, schwor ich mir, das Rätsel des alten Boten zu lüften – koste es, was es wolle.
Das merkwürdige Kribbeln, das sich anfühlte wie ein elektrischer Hauch, lag immer noch in der Luft, als Herr Hasler und ich uns aus dem Raum mit den alten Pergamenten zurückzogen. Der verborgene Gang, den wir genommen hatten, mündete wieder in den Bereich der Burg, den Touristen kannten – doch hier wirkte jetzt alles fremd und von einer unsichtbaren Spannung erfüllt.
Draußen, im schmalen Licht der sich neigenden Sonne, musterte ich den warmen Stein in meinen Händen. Seine Oberfläche war glatt, doch in seinem Inneren flackerte eine Art Schimmer, den ich nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Fast glaubte ich, winzige Funken würden darin tanzen – wie Sterne in einer klaren Nacht.
„Was nun?“, fragte ich Herrn Hasler, der seinen Hut etwas tiefer ins Gesicht zog, als wolle er unerkannt bleiben.
„Die Inschrift deutete auf einen zweiten Teil – etwas, das ergänzt werden muss, damit sich ein größeres Geheimnis offenbart“, antwortete er leise. „Vielleicht müssen wir an den Ort zurückkehren, an dem alles begann: Zum tiefen Brunnen im Burghof. Dort soll es einst ein verborgenes Symbol gegeben haben, das nur bei bestimmtem Licht zu sehen war.“
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Brunnen. Die Zeit schien stillzustehen, während wir durch die weiten Burgflure schritten. Vorbei an Ritterrüstungen und Wandteppichen, die wie stumme Zeugen vergangener Epochen wirkten. Immer wieder hörte ich ein leises Flüstern an den Wänden, als streiften uns die Stimmen längst vergangener Tage.
Am Brunnen angekommen, der in der Tiefe seit Jahrhunderten Wasser birgt, war der Burghof bereits etwas leerer – viele der Touristen waren weitergezogen. Wir traten an den Rand, wo eine niedrige Brüstung den Schacht umgab, und blickten in die Dunkelheit hinab.
„Halte den Stein ins Licht“, schlug Herr Hasler vor. Während er sprach, ging die Sonne langsam tiefer. Die Strahlen fielen schräg über die Burgzinnen, und im richtigen Winkel traf das Licht plötzlich genau auf den Stein in meiner Hand. Er begann intensiv zu leuchten – ein fast unwirkliches, blau-silbernes Glimmen, das aus seinem Innersten strömte.
Genau in diesem Moment bemerkte ich an der Steinbrüstung eine winzige Vertiefung, kaum größer als das Fragment selbst. Wie ein Schlüsselloch wartete es auf das passende Puzzleteil. Mein Herz klopfte, als ich den Stein dort hineinlegte. Kaum war er eingerastet, hörten wir ein mechanisches Klicken.
Plötzlich bebte der Boden leicht. Ein dünner Riss im Mauerwerk zeichnete sich ab und lief schnurgerade von der Einlassung des Steins bis zu einer der verwitterten Fugen. Dann folgte ein Kratzen, als sich ein Steinblock langsam zur Seite schob. Hinter dieser kleinen Öffnung wurde etwas sichtbar: ein messingbeschlagener Griff an einer Metallklappe, die in den Brunnenschacht zu führen schien.
Ich zögerte, doch Herr Hasler nickte mir zu, seine Augen leuchteten vor Neugier. Gemeinsam stemmten wir die metallene Klappe auf, und ein schmaler Gang offenbarte sich, der dem Brunnen an der Seite eingelassen war. Ein muffiger Luftzug quoll heraus, begleitet von dem fernen Geräusch tropfenden Wassers.
Ohne lange zu überlegen, trat ich mit klopfendem Herzen in den Gang. Der Stein in der Brüstung verharrte weiter in seiner Mulde und pulsierte schwach wie ein lebendes Herz. Herr Hasler folgte mir, und langsam tasteten wir uns voran. Eine primitive Taschenlampe, die er aus seiner Jacke zauberte, beleuchtete die feuchten Steinwände. An ihnen glitzerten Wasserperlen in einer fast unirdischen Schönheit.
Der Gang führte in eine kleine Nische, wo ein alter Holzschrein stand. Das Schloss war verrostet, doch mit vereinten Kräften gelang es uns, den Deckel anzuheben. Darin befanden sich Gegenstände, die mich erschaudern ließen: Eine zweite Pergamentrolle, in lederne Streifen eingewickelt, und ein goldener Siegelring, der ein Wappen trug, das ich nur mühsam erkennen konnte. Es sah dem kaiserlichen Doppeladler ähnlich, doch er war durch ein rätselhaftes Symbol in der Mitte geteilt – genau jenes Symbol des zerbrochenen Steins.
Behutsam hob ich die Pergamentrolle heraus. Dabei fiel mir ein dünnes, eisernes Medaillon entgegen, das plötzlich in der Luft baumelte und wie von Geisterhand anfing zu schwingen. Im Licht der Taschenlampe zeichnete sich ein Schatten an der Wand ab – und als wir beide hinüberschauten, erkannte ich, dass es nicht nur ein Schatten war. Er nahm Konturen an, bewegte sich selbstständig. Es war der Bote von zuvor!
Er stand da, reglos, und sah uns mit einem geheimnisvollen Ausdruck in den Augen an, fast bittend. Einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen. Dann löste sich sein Schatten langsam auf, während das Medaillon aufhörte zu schwingen. Zurück blieb nur das Echo des tropfenden Wassers und ein kühler Luftzug, der den Schrein streifte.
„Wir … wir sind hier nicht zufällig gelandet“, flüsterte Herr Hasler schließlich. „Dies war sein Versteck. Der Bote hat uns direkt zu seinen geheimen Dokumenten geführt.“
Entschlossen und gleichzeitig ehrfürchtig rollte ich das Pergament vorsichtig auseinander. Die Tinte war zum Großteil verblasst, doch die wenigen Worte, die ich entziffern konnte, raubten mir beinahe den Atem:
„Im Morgengrauen der Zeiten, wo Schatten und Licht sich vereinen,
birgt der Stein das Geheimnis, das Kaiser und König vereint.
Erschließe die Brücke der Jahrhunderte, um zu vollenden, was begann …“
Mit diesen Worten war klar: Das Rätsel ging noch weiter. Und das seltsame Ereignis, das wir erlebt hatten, war nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Hier, tief in den Eingeweiden der Kaiserburg, war eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgetaucht – und wir waren plötzlich mittendrin.
Während wir uns in der Dunkelheit des Brunnenschachts ansahen, spürte ich ein Klingen in der Luft, das mich an Teslas Versuche mit elektrischen Schwingungen erinnerte. Eine gewaltige, unsichtbare Energie lauerte in diesen Mauern – bereit, ihre Geheimnisse preiszugeben, wenn wir ihnen den richtigen Schlüssel entgegenhielten.
Mit dem Pergament in der Hand und dem Medaillon als stiller Zeuge wusste ich, dass unsere Reise noch lange nicht zu Ende war. Im Gegenteil: Sie hatte gerade erst begonnen.
Von der kleinen Nische im verborgenen Seitengang hörten wir noch immer das leise Tropfen des Wassers im Brunnen. Der muffige Geruch, vermischt mit dem metallischen Duft von nassem Gestein, lag in der Luft und erzeugte ein beklemmendes Gefühl – doch zugleich schwang eine eigentümliche Spannung mit, die unsere Neugier nährte.
Herr Hasler und ich standen reglos da, jeder von uns hielt einen besonderen Fund in den Händen:
- Er balancierte den alten Siegelring mit dem ungewöhnlichen Doppeladler in den Handflächen, fast als könne jede unvorsichtige Bewegung das fragile Artefakt zerbrechen.
- Ich hielt das eiserne Medaillon, das eben noch so unheimlich zu schwingen begonnen hatte und uns die Erscheinung des alten Boten gezeigt hatte.
Das Pergament aus dem Holzschrein lag zwischen uns auf einer wackeligen Steinkante, damit wir es genauer studieren konnten. Die Zeilen, die wir entschlüsselt hatten, ließen keinen Zweifel daran, dass hier ein uraltes Rätsel verborgen lag: eine „Brücke der Jahrhunderte“, die nur offenbart würde, wenn wir alle Teile der Botschaft zusammenfügten.
Plötzlich fiel mir etwas Eigenartiges auf: Im Licht der Taschenlampe schimmerte das Medaillon nicht mehr so dunkel wie zuvor. In der Mitte seines schlichten eisernen Korpus erkannte ich eine feine Gravur, die ich vorhin gar nicht bemerkt hatte. Ich hielt es näher ans Licht: Es war wiederum dasselbe Symbol – der zerbrochene Stein –, doch diesmal schien die Bruchstelle zu pulsieren, als wäre sie mit silbriger Tinte nachgezogen.
„Lass mich das mal sehen“, meinte Herr Hasler und kam näher. Gemeinsam betrachteten wir das Muster. Dabei berührte er unabsichtlich den Siegelring und das Medaillon gleichzeitig – ein Funke zuckte zwischen den beiden Metallstücken, so kurz und leise, dass wir uns fragten, ob es nur Einbildung war.
Doch was dann geschah, war unbestreitbar real: Ein schwacher Schein legte sich auf das Pergament. Es war, als hätte ein unsichtbarer Stift begonnen, weitere Linien zu zeichnen, die eben noch unsichtbar waren. Einzelne Buchstaben fügten sich zu einem Symbol, das aussah wie ein Stern mit sieben Zacken.
Ein Raunen entkam mir: „Hast du das gesehen?“
Herr Hasler nickte, sichtlich beeindruckt. „Es reagiert offenbar auf die Verbindung von Ring und Medaillon“, flüsterte er.
In diesem Moment waren wir uns sicher: Das Artefakt im Brunnenschacht – der Ring, das Medaillon und das Pergament – gehörten zusammen. Sie bildeten einen Schlüssel, den nur jemand aktivieren konnte, der die richtigen Impulse aneinanderkoppelte.
Die aufgetauchte Sternform mit den sieben Zacken erinnerte mich seltsam an einen alten alchemistischen Code, den ich in irgendeiner Chronik über die Reichsstädte gelesen hatte. „Sieben Zacken … sieben Tugenden … oder sieben Tore zur Erkenntnis“, murmelte ich vor mich hin.
Herr Hasler räusperte sich. „Du meinst, es könnte sich um eine Art alchemistischen Hinweis handeln? In den Chroniken der Burg wird tatsächlich von alchemistischen Experimenten berichtet, die Kaiser und Gelehrte hier einst durchführten. Es gab Gerüchte, sie hätten versucht, mit verborgenem Wissen das Reich zu lenken – oder sogar, so hieß es, die Zeit zu beeinflussen.“
Ehe wir weiterreden konnten, spürte ich erneut dieses Summen in der Luft, als ob in der Ferne ein riesiger Trafo angeschaltet würde. Ganz sachte begann die Nische zu vibrieren. Ein Luftzug streifte uns, trotz der dicken Mauern und der massiven Steine. Dabei bewegte sich auch das Pergament. Die hinzugezeichneten Linien leuchteten milchig-weiß, als wollten sie uns zu verstehen geben, wir sollten weitergehen – weiter in die Tiefe der Burg.
Doch es gab keinen weiteren Gang in dieser Kammer … oder doch? Herr Hasler trat gegen eine Wandseite, an der das Mauerwerk brüchig wirkte. Plötzlich sprang einer der Steine aus der Fassung. Dahinter war eine alte Holztür verborgen, die von Moos und Kalk fast vollständig verdeckt war.
Mein Herz klopfte schneller. Wir hatten schon einen versteckten Gang gefunden – nun also noch einen? Vorsichtig drückte ich die Tür auf. Knarrend gab das verwitterte Holz nach und offenbarte einen schmalen Tunnel, in dem schwaches Licht von irgendwoher flackerte.
„Hast du noch eine Taschenlampe?“, fragte ich.
„Nein“, seufzte Herr Hasler, „ich habe nur diese eine, und die Batterien sind beinahe leer.“
Trotzdem wagten wir den Schritt. Der Tunnel war feucht und kühl, an den Wänden wuchs seltsam weißlicher Pilz, der im Licht der Taschenlampe schimmerte. Ab und zu hörten wir ein Tröpfeln, als würde irgendwo Wasser in eine verborgene Kammer sickern.
Nach wenigen Metern öffnete sich der Gang in eine größere Kaverne, deren Wände glatter waren, als es natürlich möglich schien – fast, als hätten Hände sie einst geschliffen. In der Mitte ragte eine Steinsäule auf, um die ein eingelassener Kupferring verlief. Drei schmale Rinnen führten in regelmäßigen Abständen von der Säule zu den Wänden, als sollten sie Flüssigkeiten oder Energie ableiten.
Herr Hasler ließ seinen Blick schweifen. „Das ist kein gewöhnlicher Kellerraum mehr … Das muss eines der alchemistischen Labore sein, von denen die Legenden sprechen.“
Ich trat näher an die Säule. Da war eine Einbuchtung, perfekt geformt für ein Medaillon – oder den Siegelring. Zögernd hob ich die Hand. Unsicher, ob ich das Artefakt einsetzen sollte, schaute ich Herrn Hasler an. Er nickte, sichtlich angespannt, aber entschlossen.
Als der Ring die Aussparung berührte, erzitterte die Säule mit einem tiefen Grollen. Ein geisterhaftes Licht schoss blitzartig durch die Rinnen zu den Wänden. Die Kaverne begann zu vibrieren, und an der Decke formte sich ein wirbelndes Muster aus Licht und Schatten. Dabei entstand eine Art Torbogen aus flackernden Lichtern direkt über uns.
Ehe wir begreifen konnten, was geschah, zuckte etwas über unsere Köpfe hinweg – wie eine Welle, die durch die Luft strömt. Für einen Augenblick verschob sich die Wirklichkeit: Ich sah verschwommen Kaiser Barbarossa in einem Saal sitzen, umringt von Beratern, und hörte das Donnern von Hufen, als Soldaten durch das Burgtor preschten. Dann, fast übergangslos, war ich wieder in der Kaverne. Das Licht erlosch, und alles war still.
In meinen Ohren klang es wie ein Echo, kaum wahrnehmbar:
„Führe zu Ende, was einst begann …“
Herr Hasler stützte sich auf die kalte Säule, atemlos. „Ich glaube, wir sind einer Kraft begegnet, die unsere Zeit mit jener Vergangenheit verbindet. Eine Brücke der Jahrhunderte, eben wie im Pergament erwähnt.“
Noch während er sprach, fühlte ich, wie das Medaillon in meiner Tasche warm wurde – gerade so, als würde es uns zu einer nächsten Etappe rufen. Der Ring war ebenfalls nicht kalt, sondern strahlte eine unheimliche Energie ab.
Es war klar, dass wir soeben nicht nur einen geheimen alchemistischen Raum entdeckt hatten. Wir waren mitten in ein Mysterium geraten, das über das Fassbare hinausging – ein Portal, das Geschichte und Gegenwart verschmolz. Und die Kaiserburg, dieser ehrwürdige Ort, war das Herzstück.
„Was immer hier schlummert, es ist nicht zufällig“, meinte ich leise. „Der Bote, die Zeichen, der Stein und jetzt dieser Raum … Wir müssen herausfinden, wie wir diese Verbindung nutzen, ohne sie zu zerstören.“
Herr Hasler stimmte zu. „Vielleicht steht in den Aufzeichnungen, die wir noch nicht entziffert haben, ein Hinweis. Oder es gibt tief in den Bibliotheken der Burg weitere Schriften, die uns den nächsten Schritt verraten.“
Mit diesen Worten war uns beiden klar: Die Zeit war gekommen, all unseren Mut und unsere Neugier zu bündeln. Denn die Kaiserburg hatte sich entschlossen, uns in ihr größtes Geheimnis einzuweihen. Und wer weiß, wie viel Zeit uns blieb, bevor sich das Tor der Jahrhunderte wieder schloss – womöglich für immer.
Die Geschichte hatte uns hierhergeführt, in diesen alchemistischen Raum tief unter dem Burghof, und sie war noch längst nicht zu Ende. Ein merkwürdiges Ereignis jagte das nächste, als lauere etwas Altehrwürdiges im Halbdunkel, bereit, sich zu offenbaren.
Ob wir die richtigen Hüter dieses Rätsels waren? Nur eines war sicher: Wir hatten jetzt keine Wahl mehr – die Vergangenheit rief nach ihrer Vollendung. Und mit jedem Schlag der Turmuhr rückte der Augenblick näher, da wir die Grenzen zwischen den Zeitaltern endgültig überschreiten würden.
Schwer atmend lehnten wir uns an die kalte Steinwand des alchemistischen Raums. Das Echo unseres letzten Erlebnisses – die flackernde Vision von Kaiser Barbarossa und den marschierenden Soldaten – hallte noch immer in unseren Köpfen wider. Das Licht war erloschen, und nur noch die dumpfen Umrisse der Säule ragten in der Dunkelheit auf.
„Dieser Ort fühlt sich an wie eine Schnittstelle zwischen den Zeiten“, murmelte Herr Hasler schließlich. Seine Stimme klang seltsam gedämpft, fast ehrfürchtig. „Erinnern Sie sich an die Zeilen auf dem Pergament? Die Brücke der Jahrhunderte ist realer, als wir zunächst angenommen haben.“
Ich nickte und zog das Medaillon wieder aus meiner Tasche. Es war weiterhin warm, doch das Glimmen in der Bruchstelle des Steins war schwächer geworden – als hätte die Aktivierung viel seiner Energie verbraucht. Unwillkürlich dachte ich an Nikola Teslas Experimente mit Schwingungen und hochfrequenten Strömen: Wenn seine Apparaturen nicht konstant mit Energie versorgt wurden, erlosch auch ihr Effekt. Vielleicht war es hier ähnlich – dieser Raum brauchte eine „Energiequelle“, um sein Geheimnis dauerhaft zu offenbaren.
Gemeinsam begannen wir, die Säule und die Wände genauer zu untersuchen. In den glatten Stein eingraviert entdeckten wir feine Linien, fast unsichtbare Muster, die sich zu verschlungenen geometrischen Formen zusammenfügten. Einige erinnerten an Schaltpläne oder merkwürdige Symbole, wie man sie aus alten alchemistischen Manuskripten kennt: Pentagramme, Kreise, Dreiecke – aber immer wieder durchbrochen von seltsam „modernen“ Zeichen. Eines sah beinahe aus wie eine stilisierte Spirale, die mich an Einsteins Vorstellungen von Raumzeit erinnerte.
„Diese Gravuren …“, flüsterte Herr Hasler. „Es ist, als hätten die Erbauer der Burg etwas in die Mauern geschrieben, das seiner Zeit weit voraus war. Vielleicht eine Formel oder eine Art Karte.“
Gerade als er das sagte, hörten wir wieder dieses leise Summen. Eine kühle Brise strich durch den Raum, obwohl es keinen spürbaren Luftzug gab. Aus den Augenwinkeln meinte ich, eine Bewegung zu sehen: Der Bote stand schemenhaft an der Wand, kaum mehr als ein verzerrter Schatten, doch diesmal hob er die Hand wie zum Gruß. Für einen Moment wirkte es, als wolle er uns irgendwohin führen. Dann begann er wortlos durch den Stein hindurch „zu gehen“, als öffnete sich in der Mauer ein Spalt, unsichtbar für normale Augen.
Ohne zu zögern folgten wir seinem Schatten. Dort, wo er verschwunden war, ertasteten unsere Finger tatsächlich eine kleine Vertiefung. Ein Griff oder Schalter verbarg sich darin, kalt und metallisch. Behutsam drückten wir ihn. Mit einem dumpfen Grollen drehte sich ein ganzer Abschnitt der Mauer zur Seite, gerade breit genug, dass ein Mensch hindurchpasste. Dahinter lag Dunkelheit, so tief, dass ich unwillkürlich schlucken musste.
Dennoch wagten wir den Schritt ins Ungewisse. Kaum hatten wir die Schwelle überschritten, schloss sich die Wand hinter uns. Unsere Taschenlampe flackerte, als stünde sie unter elektromagnetischer Störung. Für einen kurzen Augenblick hoffte ich, dass sie nicht ganz ihren Geist aufgab – doch plötzlich war der Schein wieder stabil.
Wir befanden uns in einem schmalen Korridor, dessen Mauern glatt waren wie Marmor. Eine feine, fast gläserne Schicht bedeckte die Oberfläche. Woher dieses Material kam, war uns ein Rätsel; es wirkte weder mittelalterlich noch natürlich. Hin und wieder blitzten Reflexionen auf, als steckten lichtempfindliche Kristalle darin. Mein Herz klopfte wie wild – ich fühlte mich beinahe wie in einem futuristischen Labor, nur eben tief in den Eingeweiden eines Jahrhunderte alten Gemäuers.
Einige Schritte weiter sahen wir, dass sich der Gang zu einer kleinen Kammer erweiterte. Darin befand sich ein Podest, darüber ein kunstvoll verzierter Bogen aus Metallstreben, fast wie ein Gitter. Auf dem Podest thronte eine längliche, in Tuch gewickelte Kiste. Sie war mit seltsamen Zeichen beschriftet, die mir merkwürdig bekannt vorkamen – ein Mischmasch aus altem Latein, okkulten Symbolen und mathematischen Kürzeln, die Tesla und Einstein zugleich hätten faszinieren können.
Vorsichtig hob ich die Tuchschicht von der Kiste. Darunter kam ein Mechanismus aus Zahnrädern, Spulen und Drähten zum Vorschein – kaum zu glauben, dass sich so etwas in den Tiefen einer mittelalterlichen Burg befinden konnte. Fast sah es aus wie eine Zeitkapsel, die jemand zurückgelassen hatte. Eine kleine Plakette war daran befestigt, in kunstvoller Schrift stand dort:
„Der Schlüssel zum Gleichgewicht der Zeiten. Möge es nur gelüftet werden, wenn Geist, Herz und Mut vereint sind.“
Herr Hasler zog hörbar die Luft ein. „Egal, was das hier ist – es scheint deutlich zu machen, dass wir etwas in Gang setzen können, was über den Rahmen normaler Geschichtsforschung hinausgeht. Wir sollten vorsichtig sein.“
Während wir noch überlegten, ob wir die Maschine berühren sollten, spürten wir beide einen unheimlichen Sog. Es war dieselbe Kraft, die wir schon im Brunnenraum gespürt hatten. Irgendetwas zog an uns, zerrte an unseren Sinnen und ließ die Grenzen zwischen unserem Jetzt und einer anderen Zeit verschwimmen. Ich musste unwillkürlich an Einsteins Worte über die Relativität denken: „Raum und Zeit sind nicht getrennt voneinander, sondern Teil eines Ganzen …“
Noch ehe wir beschlossen hatten, was zu tun war, gab der Mechanismus ein leises Klicken von sich. Ein schwaches Summen setzte ein, begleitet von Funken, die zwischen den Drähten tanzten. So, als hätte jemand die Maschine aktiviert – nur wer?
Wir warfen uns einen raschen Blick zu und wussten, dass wir den nächsten Schritt wagen mussten. Die Kaiserburg hatte ihre Geheimnisse bis hierher behütet. Nun lag es in unseren Händen, diese Brücke zwischen den Zeiten entweder zu überschreiten oder im letzten Moment zurückzuweichen.
Und so standen wir, eingehüllt in das matte Licht unserer Taschenlampe, am Rande eines Rätsels, das Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende umspannen konnte. Die Maschine war erwacht. Und unsere Entscheidung würde darüber bestimmen, ob das Tor zu vergangenen Epochen sich nun für uns öffnete – oder ob es uns und die Burg in ein unbekanntes Schicksal hineinziehen würde.
In jener stillen Kammer, tief unter den ehrwürdigen Mauern der Kaiserburg, schien die Zeit den Atem anzuhalten. Das leise Summen der metallenen Apparatur füllte den Raum, während Funken wie winzige Blitze zwischen den Spulen tanzten. Der Anblick hatte etwas Unwirkliches – als hätte ein genialer Geist zwischen Teslas elektrischen Wundern und Einsteins Relativitätsgedanken ein seltsames Zwitterwesen erschaffen, das nun hier unten auf Erweckung wartete.
Herr Hasler und ich tauschten einen Blick, in dem sich Ehrfurcht und Neugier spiegelten. Das Gerät, das wir in dieser Tuchkiste gefunden hatten, war nicht bloß eine alchemistische Kuriosität. Es war etwas, das die Grenzen unseres Verständnisses zu sprengen drohte.
„Schau nur“, wisperte Herr Hasler, während er sich vorbeugte. „An den Zahnrädern sind Symbole eingeritzt – dieselben, die wir in den Gängen und auf dem Pergament gesehen haben.“
Ich trat näher. Tatsächlich: Auf den metallenen Rädchen waren filigrane Gravuren eingelassen, die zerbrochenen Steine, siebenstrahlige Sterne und lateinische Kürzel in geschwungenen Lettern. An einer Stelle war sogar eine Form zu erkennen, die wie eine stilisierte Spirale aussah – oder ein Teilchenbeschleuniger aus einer modernen Physik-Dokumentation.
„Womöglich ist diese Maschine die eigentliche ‚Brücke der Jahrhunderte‘“, mutmaßte ich. „Oder zumindest der Schlüssel dazu.“
Kaum hatte ich das ausgesprochen, begann ein dünner Lichtstrahl aus der Spitze des Apparats zu gleiten. Er war kaum breiter als ein Haar und leuchtete in einem violetten Schimmer, der mich an ultraviolette Experimente erinnerte, die Nikola Tesla einst in seinem Labor durchführte. Das Licht huschte an die Decke und zeichnete dort ein wirbelndes Muster, ähnlich einem kleinen Tornado aus Farbe.
In diesem flackernden Schein begannen die Wände ringsum zu „atmen“ – ein seltsamer Effekt, als würde die Steinoberfläche sanft pulsieren. Für einen Augenblick schlossen wir beide die Augen, weil uns die Intensität zu überwältigen drohte.
Und dann war es, als würde das Gemäuer zurückweichen. Ohne jede Vorwarnung standen wir plötzlich in einem Saal – kein Modergeruch, kein feuchtes Gestein, sondern frische Luft, erhellt von Fackeln und einem Kronleuchter, der hoch über uns hing. Hölzerne Tafeln säumten die Wände, und an den Tischen saßen Menschen in mittelalterlichen Gewändern.
Ich schnappte nach Luft. „Ist das …?“
„Die Kaiserburg – aber in einer anderen Zeit“, hauchte Herr Hasler.
Die Szene wirkte lebendig, doch niemand schien uns zu bemerken. Mir kam es vor wie ein Hologramm oder ein Fenster in die Vergangenheit. Ein Mann in prachtvoller Robe – er trug einen goldenen Reichsapfel und ein Zepter – sprach erregt mit zwei Beratern. Ihre Stimmen waren gedämpft, als würden sie von weit herkommen.
Ich versuchte, mich zu konzentrieren, um die Worte zu verstehen. Bruchstückhaft hörte ich: „… Schreiben … Bote … darf nicht in falsche Hände geraten …“ Und dann: „… der Bruch … unheilvolle Macht …“
Plötzlich fiel mir auf, dass einer der Berater dieselbe Gestalt war, die wir als Boten kennengelernt hatten. Nur trug er jetzt keine schlichte Kuriertasche, sondern ein prachtvoll besticktes Gewand. Trotzdem erkannte ich diese markanten Züge im Gesicht und das nervöse Spiel seiner Hände. Er überreichte dem Kaiser ein Pergament. Genau jenes Pergament?
Dann flackerte die Szene, als hätte jemand einen Filmstreifen angehalten und wieder zurückgespult. Die Umgebung verschwamm, und wir sahen für den Bruchteil einer Sekunde den alchemistischen Raum – nur um sofort wieder in eine andere Szene geworfen zu werden. Diesmal stand der Bote allein in einem Kerkergewölbe, die Gewänder zerrissen. Er sprach mit bebender Stimme: „Man hat mich verraten … darf nicht enden … Zeit ist der Schlüssel …“
Mit einem jähen Ruck endete die Vision. Wie ein ausgeknipstes Licht erloschen die Bilder, und wir fanden uns wieder in der verborgenen Kammer. Die Maschine knatterte, qualmte leicht, und der violette Strahl, der eben noch an der Decke gewirbelt hatte, war verschwunden.
Ich spürte den kalten Stein unter meinen Fingerspitzen. Herr Hasler griff nach meinem Arm, um mir aufzuhelfen – offenkundig war ich vor Schreck in die Knie gegangen. Seine Augen suchten meine, und für einen Moment wussten wir beide nicht, was wir sagen sollten.
„Er wurde verraten“, sagte ich schließlich heiser, „und der Kaiser fürchtete etwas, das mit diesem Bruch zusammenhängt – vielleicht das Symbol des zerbrochenen Steins.“
Herr Hasler nickte langsam. „Die Legende besagt, dass es unter den Kaisern einen Geheimbund gab, der versuchte, Wissen über die Zeit zu gewinnen – und dass sich Spione und rivalisierende Fürsten einfanden, um dieses Wissen zu missbrauchen. Der Bote war offenbar mitten in diesem Konflikt.“
Während wir uns wieder der Maschine zuwandten, gingen mir all die Fragmente durch den Kopf: der Stein im Burghof, das Pergament, der Ring und das Medaillon. Und jetzt dieser Apparat, der uns für kurze Augenblicke eine Pforte in die Vergangenheit geöffnet hatte.
„Es kann kein Zufall sein, dass wir hier gelandet sind“, sagte ich leise. „Vielleicht müssen wir das Schicksal des Boten vollenden – und damit das Gleichgewicht der Zeiten wiederherstellen.“
Fast im selben Moment regte sich etwas in meinem Rucksack. Ich zog das Medaillon hervor, das ich vorsorglich eingesteckt hatte. Es pulsierte erneut, diesmal so stark, dass meine Finger ein leichtes Kribbeln verspürten. Wie von selbst schwebte das Medaillon in Richtung Maschine, als zöge sie es an.
Herr Hasler wollte noch warnend rufen, doch es war zu spät. Das Medaillon dockte an einem hervorstehenden Bolzen an, ein blitzender Funke sprang über. Die Apparatur brummte unheilvoll laut, und ein neues Lichtbündel stieß empor, diesmal in einem gleißenden Weiß.
Wieder begann sich die Realität um uns zu verziehen, aber diesmal nicht nur als Vision – ich hatte das Gefühl, wir würden körperlich fortgerissen. Ein Sog ähnlich einem Tornado aus purem Licht umgab uns, während ein elektrischer Geruch das Atmen erschwerte. Meine Ohren rauschten, mein Magen drehte sich.
Dann, mit einem scharfen Knall, war alles schwarz. Nicht einmal das Summen der Maschine hörten wir mehr. Sekunden oder Minuten später öffnete ich benommen die Augen und fühlte weiches Moos unter meinen Händen. Herr Hasler lag neben mir und richtete sich verwirrt auf.
Wo waren wir? Der Raum um uns war verschwunden. Stattdessen sahen wir die Kaiserburg – aber nicht so, wie wir sie kannten. Die Mauern wirkten neuer, die Steine heller, kaum verwittert. Keine Touristen, keine modernen Lampen. Stattdessen Fackeln an den Wänden, und irgendwo in der Ferne hörte man das stampfende Geräusch schwerer Hufe.
„Bei allen Mächten …“, flüsterte Herr Hasler, sichtlich überwältigt. „Ich glaube, wir sind tatsächlich durch die Zeit gereist.“
Mein Herz raste. Der Wind, der über den Burghof wehte, roch nach Kohle und geschmiedetem Eisen. Pferdewiehern hallte in den Gassen. Und nirgendwo sah ich die vertrauten Zeichen moderner Zivilisation.
Unser Blick fiel auf das Medaillon, das noch immer in meiner Hand glühte. Sein Licht schwächte sich rasch ab, als hätte es die gesamte Energie verbraucht, um uns hierher zu befördern.
In diesem Moment vernahmen wir laute Stimmen. Von einem Tor her näherten sich Wachen in Rüstungen. Es war nicht zu übersehen: Wir befanden uns mitten im Kaiserburg-Hof – in einer längst vergangenen Epoche.
Wie sollte es nun weitergehen? Herr Hasler starrte mich an, fasziniert und voller Furcht zugleich. Wir mussten einen Weg finden, das Rätsel um den zerbrochenen Stein und den Boten zu lösen – und vor allem: einen Weg zurück in unsere Zeit. Aber das Schicksal hatte uns für diesen Moment in eine andere Welt geführt.
Irgendwo in diesen Mauern konnte jener Bote noch leben oder agieren, der uns in den Visionen erschienen war. Vielleicht war dies unsere Chance, alles zu vereinen und das Wissen zu bewahren. Doch wir hatten nur einen schwächer werdenden Apparat und ein Medaillon, das fast seine Kraft erschöpft hatte.
Und so begann ein neues Kapitel in unserer unglaublichen Reise: Nicht mehr in verborgenen Kammern, sondern mitten im pulsierenden Leben einer mittelalterlichen Burg, wo Kaiser und Könige ein- und ausgingen – und wir Besucher einer fremden Zeit waren, die besser unentdeckt bleiben sollten.
Benommen und voller Ehrfurcht fanden wir uns plötzlich wieder in denselben verborgenen Gängen der Kaiserburg – aber diesmal war alles ganz ruhig, still und eindeutig wieder Gegenwart. Kein Surren mehr, das Funken geschlagene Gerät lag stumm vor uns. Die rauen Steinwände, die eben noch zu atmen schienen, wirkten wieder starr und leblos. Nur das eigene Herzklopfen erinnerte daran, was wir wenige Augenblicke zuvor erlebt hatten: ein flüchtiger Blick in eine andere Zeit, in der Wachen mit schillernden Rüstungen umhergingen.
Jetzt, da wir den Ausgang ins Freie fanden, lag die Burg in friedlichem Licht. Touristen schlenderten über den Burghof, fotografierten die alten Zinnen, und ein warmer Windstoß ließ die Blätter in einem nahen Baum rascheln. Keine Spur mehr von dem mysteriösen Tor in die Vergangenheit. Als wäre alles nur ein Traum gewesen – wäre da nicht das zarte Kribbeln, das immer noch in uns nachhallte.
Herr Hasler atmete erleichtert auf. „Wir sind tatsächlich wieder zurück – hier, in unsere Zeit. Wer hätte geahnt, dass diese Mauern solche Geheimnisse bergen?“
Ich nickte. Auf den ersten Blick wirkte alles normal. Und dennoch hatte sich etwas verändert: Unsere Sicht auf die Kaiserburg, ihre Geschichte und ihr verborgenes Potenzial. Wir hatten ihr zeitliches Herz schlagen gehört – nur kurz, doch intensiv genug, um zu ahnen, dass es noch mehr zu entdecken gab.
„Weißt du“, sagte ich schließlich, „dies wird mich nie wieder loslassen. Was wir erlebt haben, war keine Einbildung. Es war echt. Diese Burg birgt ein Stück Vergangenheit, das uns mitten in der Gegenwart begegnet ist.“
Herr Hasler warf einen letzten Blick zurück auf den einst unsichtbaren Einstieg, jetzt kaum noch zu erkennen. „Wir sollten dennoch nicht vergessen: Die Stadt Nürnberg lebt auch außerhalb dieser Mauern. Und es heißt, dass sich morgen zwischen 12:00 und 13:30 Uhr am Hauptmarkt bei der Frauenkirche eine ganz andere Tür öffnen könnte – vielleicht kein Zeittor, aber zweifellos ein neues Erlebnis, das wir uns nicht entgehen lassen dürfen.“
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Der Gedanke an das bunte Treiben am Hauptmarkt, das Glockenspiel der Frauenkirche und das Flair der Straßen, in denen Geschichte und Moderne aufeinandertreffen, klang wie eine willkommene Abwechslung nach all den Mysterien in den dunklen Gängen.
So verließen wir die Burg in ihrer heutigen Form – fest entschlossen, das Unbekannte ruhen zu lassen und doch in unseren Herzen zu bewahren. Was auch immer morgen auf dem belebten Marktplatz geschehen mochte, es würde uns daran erinnern, wie dicht Vergangenheit und Gegenwart nebeneinanderliegen … und dass Nürnberg noch manches Wunder birgt, das nur darauf wartet, ans Licht gebracht zu werden.
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