
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
(14:00–17:00 Uhr – Eine weitere Etappe im Schatten der Geschichte von Nürnberg, durchzogen von mystischen Anklängen …)
Hier die Etappen vom Ausflug nach Nürnberg
Nürnberg besuchen > folge dieser Story in dieser Reihenfolge:
- 1. > Ein seltsames Erlebnis auf der Nürnberger Kaiserburg
- 2. > Seltsame Eindrücke am Hauptmarkt und der Frauenkirche
- 3. > Unheimlich Nürnberger Dokumentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände – Du befindest dich hier
Ein neuer Tag in Nürnberg – Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
(14:00–17:00 Uhr – Eine weitere Etappe im Schatten der Geschichte, durchzogen von mystischen Anklängen …)
Die Mittagssonne hatte den Hauptmarkt schon beinahe verlassen, als wir uns auf den Weg zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände machten. Noch spürten wir das Flüstern der Frauenkirche in unseren Gedanken – ein Echo ungesagter Worte und geschichtlicher Brüche. Nun aber leitete uns eine andere Art von Neugier: die düstere Vergangenheit, die in den Mauern und Freiflächen des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes fortbesteht.
Die Fahrt dorthin war kurz, doch sie fühlte sich an, als würden wir eine Schwelle übertreten – vom mittelalterlichen Zentrum direkt in ein bedrückendes Kapitel des 20. Jahrhunderts. Kaum angekommen, erblickten wir die teils monumentalen Bauten, die wie kalte Zeugen einer menschenverachtenden Ideologie wirkten. In der Ferne ragte die Kongresshalle auf, ein unvollendetes Monument aus Stein, das bedrückend an den Größenwahn vergangener Zeiten erinnerte.
Als wir durch den Eingang des Dokumentationszentrums traten, umfing uns rasch eine Atmosphäre, die weniger mit blankem Spuk als mit der Schwere der Geschichte zu tun hatte. Bilder, Filme und Texte dokumentierten die nationalsozialistische Propaganda und ihre grausamen Folgen. Besucher aus aller Welt bewegten sich still durch die Ausstellung – manche mit ernster Miene, andere sichtlich erschüttert.
Doch während wir in dem modernen Ausstellungsgebäude entlang der Tafeln gingen, merkten wir plötzlich, wie uns ein eigenartiges Kribbeln erfasste, ähnlich dem, das wir an der Kaiserburg gespürt hatten. Nur war es hier von einer anderen Intensität: Kein Mysterium der Zeitreisen oder verborgenen Türen, sondern eher eine fühlbare Dissonanz – als lastete ein kollektives Gedächtnis auf diesem Ort.
Herr Hasler blieb vor einem großen Panoramafoto stehen, das die Massenaufmärsche der NSDAP zeigte. „Diese Menschen hier“, sagte er leise und wies auf die Gesichter, „waren so tief in eine Ideologie verstrickt, dass sie siegessicher an die eigene Größe glaubten. Und doch wirkte schon damals etwas Unheimliches in der Luft.“ Er runzelte die Stirn. „Fast so, als könnten Orte Erinnerungen bewahren – ob wir sie nun sehen wollen oder nicht.“
Ich spürte ein eigenartiges Déjà-vu: Dieselbe Mischung aus historischem Fakt und unterschwelligem Raunen, wie an den anderen Orten unserer Reise. Kein Wunder, dass manche Besucher flüsterten, es gebe eine „dunkle Energie“ hier – auch wenn es dafür keinerlei handfeste Belege gab. Die Geister der Vergangenheit waren eher mental spürbar als tatsächlich sichtbar.
Gegen 15:00 Uhr entschlossen wir uns zu einem Rundgang über das Außengelände. Beim Verlassen der Ausstellungshalle umfing uns eine beinahe gespenstische Weite: Die damals gewaltig konzipierten Aufmarschflächen liegen heute brach, Rasen und Gestrüpp haben manches Areal zurückerobert. Über allem lag eine eigenartige Stille, nur unterbrochen von den Stimmen anderer Besucher in der Ferne.
Wir liefen am Dutzendteich entlang, vorbei am Großen Straßenabschnitt, der einst für Paraden gedacht war. Zwischen vereinzelten Bäumen wehte ein lauer Sommerwind. Plötzlich fiel mir in einiger Entfernung eine Gestalt auf, die vor einer großformatigen Foto-Tafel stand. Ein älterer Herr mit grauem Haar und Hut. Ein Schauer lief mir über den Rücken. War es derselbe Fremde, der uns schon so oft in der Stadt begegnet war?
„Siehst du ihn auch?“, fragte ich Herr Hasler. Der nickte stumm.
Fast mechanisch trugen uns unsere Schritte näher. Doch als wir die Stelle erreichten, war niemand mehr da – nur die Informationstafel, die den „Appellplatz“ von 1938 zeigte. Eine weitere Erinnerung an die Masseninszenierungen der NS-Zeit. Und darunter eine kleine Blumenvase, in der eine halb verwelkte Rose steckte. Kein Schild, keine Widmung. Ein stilles Gedenken an irgendetwas Unausgesprochenes.
Wieder spürte ich dieses Prickeln, und plötzlich erinnerte ich mich an das Pergament, das wir bei der Frauenkirche gefunden hatten: „Was zerbrochen schien, kann in neuer Form wieder auferstehen.“ Hier, an diesem Ort, war zwar nichts Gutes „wieder auferstanden“, doch die Lehren aus diesem Kapitel sollten – so hoffte man – die Wiederholung der Geschichte verhindern.
Gegen 16:00 Uhr begaben wir uns in einen Bereich, den nur wenige Besucher frequentierten: den verwilderten Teil hinter der Kongresshalle. Bröckelndes Mauerwerk, überwucherte Bögen und stilles Wasser im angrenzenden Weiher erzeugten eine melancholische Kulisse. Manche Stimmen sprachen davon, es sei gerade hier besonders „unheimlich“ – nicht wegen Spuk, sondern wegen der erdrückenden Präsenz der Geschichte.
Aus den Augenwinkeln sah ich plötzlich eine Bewegung. Ein Vogel huschte auf, doch in meinem inneren Ohr klang es beinahe wie ein Flüstern. Ob es nur der Wind im Gebälk war? Oder doch eine auditive Täuschung, ausgelöst durch unsere aufgewühlte Stimmung?
In diesem Moment drehte Herr Hasler sich um. „Ich habe das Gefühl, wir sind nicht zufällig hier. Es ist, als würden all unsere Stationen in Nürnberg einen roten Faden bilden: Die Kaiserburg, der Schöne Brunnen, die Frauenkirche und jetzt dieser Ort. Jeder davon trägt auf seine Weise eine Last – ob Jahrhunderte alt oder aus der jüngeren Vergangenheit.“
Ich stimmte zu. „Und möglicherweise führt dieser Faden nicht zu einer spektakulären Enthüllung, sondern zu einem besseren Verständnis, dass Geschichte sich in vielen Schichten zeigt: im Glanz eines mittelalterlichen Wahrzeichens genauso wie in den Schatten einer grausamen Ideologie.“
Unser Aufenthalt vor Ort ging gegen 17:00 Uhr zu Ende. Wir hatten die Dauerausstellung gesehen, waren durch die Außenanlagen gewandert und hatten dennoch das Gefühl, als sei vieles ungesagt geblieben. Hier war kein offenes Geheimnis wie in den Burgkellern, kein magischer Moment am Brunnen. Aber die Erinnerung an das Schicksal, das von diesen Ruinen ausging, fühlte sich ebenso mächtig an – fast wie eine unsichtbare Mahnwache.
Gerade als wir das Gelände verließen, glaubten wir, in der Ferne kurz jenen älteren Herrn zu erkennen, wie er in Richtung Busparkplatz ging. Hatte er uns beobachtet? Oder war er nur eine Symbolfigur unserer eigenen Wahrnehmung, ein Spiegel dessen, wie wir uns Schritt für Schritt tiefer in das Mysterium Nürnbergs hineinziehen ließen?
So endete unser Besuch am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände: weniger als Suche nach Paranormalem, mehr als Dialog mit einer Geschichte, die unausweichlich und belastend, aber auch lehrreich ist. Eine andere Art von Mystik, geboren aus dem Spannungsfeld zwischen dem Schweigen der Steine und den Mahnrufen der Vergangenheit.
Manch einer würde vielleicht sagen, es sei nur Einbildung, wenn wir an diesen Orten ein Kribbeln spürten. Aber womöglich hat das Mystische hier keine Gespenstergestalt: Es ist die Erfahrung der Nachwirkung historischer Ereignisse – ungreifbar und doch real, spürbar für jeden, der dafür empfänglich ist. Und so setzten wir unseren Weg fort, in dem Bewusstsein, dass Nürnberg immer noch weitere Schleier lüften könnte – wenn wir nur genau hinsahen.
Eine unerwartete Erinnerung an Albert Speers „Erinnerungen“
Wir schlenderten an den stummen Steinmauern der Kongresshalle entlang, die im gleißenden Nachmittagslicht bizarr strahlten und doch kalt und unnahbar blieben. Unsere Gedanken waren noch erfüllt von jener eigentümlichen Mischung aus Beklemmung und Neugier, die dieser Ort hervorrief. Genau in diesem Moment flackerte plötzlich eine längst verschüttete Erinnerung auf – ein Buch, in längst vergangenen Tagen gelesen, dessen Titel mir erst jetzt wieder in den Sinn kam:
„Erinnerungen“ (1969) von Albert Speer.
Die Bilder aus der Ausstellung und die unvollendeten Bauten am Reichsparteitagsgelände ließen einzelne Textstellen im Kopf widerhallen wie verstreute Mosaikstücke: Speers Beschreibungen von gigantomanischen Bauvorhaben für das NS-Regime, seine nachträglichen Beteuerungen, er habe „nichts vom Holocaust gewusst“, und zugleich die Tatsache, dass er als Rüstungsminister Millionen Zwangsarbeiter einsetzte.
Fetzen der Erinnerung kehrten zurück, begleitet von einer eigentümlichen, emotional aufgeladenen Stimmung:
- Albert Speer (1905–1981): ein Architekt, der Hitlers Gunst gewann, einer der einflussreichsten Männer im Regime.
- Der Mann, der das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg maßgeblich entwarf – genau jenen Ort, an dem wir uns jetzt befanden.
- In seinen Memoiren und den „Spandauer Tagebüchern“ präsentierte er sich später als beinahe „unschuldiger Technokrat“ und ließ die eigene Verstrickung in die Verbrechen des NS-Staates merkwürdig blass wirken.
- Gleichzeitig ist sein Bild als „guter Nazi“ – so wie er es selbst gerne dargestellt hatte – seit Langem von Historikern widerlegt.
Während dieser Gedanke heranwuchs, sah ich förmlich die abgründige Ironie vor mir: In den Gängen des Dokumentationszentrums begegneten wir Speers früherem Werk, jener Monumentalarchitektur, die so einschüchternd wirkte – ein stummer Zeuge der NS-Propaganda und des Größenwahns. Und in meinem Kopf hallten Passagen von Speers Selbstrechtfertigungen nach, die in „Erinnerungen“ so eindringlich, aber auch so fragwürdig niedergeschrieben sind.
An einer Info-Tafel, die den Weg zum Zeppelinfeld beschrieb, blieb ich schließlich stehen. Sie zeigte Bilder von Menschenmassen, Fahnen, lodernden Feuern – all die Inszenierung, die Speers Bauten einst ermöglicht hatten. Im Innern empfand ich eine Mischung aus Faszination und Abscheu. Herr Hasler trat neben mich, als könnte er spüren, was in mir vorging.
„Manchmal“, sagte er gedämpft, „lesen wir ein Buch und glauben, es verstanden zu haben. Doch erst wenn wir an den realen Schauplatz treten, wird uns das Ausmaß greifbar.“
Ich nickte, mein Blick ruhte auf dem verwitterten Beton. In Speers Memoiren versuchte er, sich als begabten Architekten zu zeigen, der angeblich vom wahren Ausmaß der NS-Verbrechen nichts wusste. Heute weiß man, dass das bestenfalls eine Halbwahrheit war. In jenen längst verstaubten Buchseiten steckte der Keim eines Mythos – und mitten auf diesem Gelände sah man nur zu deutlich, welch verheerende Realität dahinterstand.
Gegen 17:00 Uhr klang der Tag langsam aus. Wir wanderten in stillem Gedenken zurück zum Hauptportal des Dokumentationszentrums. Vor dem Ausgang, wo die letzten Besucher noch Broschüren studierten, schien die Zeit kurz stillzustehen. Ich hielt das Bild von Speers selbstbewusstem Lächeln im Kopf, wie er auf alten Fotos zusammen mit Hitler Baupläne durchging – und fragte mich, welche Gedanken wohl in ihm wirklich spukten, als er später im Gefängnis seine Memoiren schrieb.
Ein letzter Rundumblick auf das weite, leere Areal, das wie ein offenes Geschichtsbuch vor uns lag. Das Kapitel Speer schien hier mehr zu sein als nur ein Name. Es war Teil der Topographie, in Beton gegossene Ideologie, zum Mahnmal verkommen – und zugleich ein Schlüssel zum Begreifen, dass Geschichte oft in Widersprüchen lebt: Äußere Schönheit trifft auf innere Grausamkeit, technische Genialität verschmilzt mit moralischer Verantwortungslosigkeit.
So schlossen wir unsere Episode am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände mit einer schwer zu beschreibenden Emotion ab – etwas zwischen Betroffenheit, Erkenntnis und dem Wissen, wie wichtig es ist, sich der Vergangenheit zu stellen. Albert Speers „Erinnerungen“ drängten sich noch einmal ins Bewusstsein. Dort hatte er viele Zeilen gedruckt, doch kaum jemals den Mut, seine wahre Mitverantwortung ohne Ausflüchte einzuräumen.
Während wir die Stufen zum Parkplatz hinabgingen und der Wind leicht unsere Jacken zerzauste, war mir klar: Die Geschichte war hier keineswegs abgeschlossen, nur unsere Besuchszeit war es. In Gedanken hörte ich das Echo der Monumentalpläne, der Marschmusik und vor allem die stummen Fragen all derer, die unter Speers Regie litten. Und genau diese Fragen machten mir bewusst, wie viel mehr noch jenseits der Seiten von „Erinnerungen“ verborgen blieb.
Eines stand fest: Dieser Ort – und das Buch, das in meinem Kopf wiederaufgetaucht war – würde nie mehr nur Geschichte sein. Sie waren Mahnung und Memento zugleich. Und damit endete unser Tag am Dokumentationszentrum: reich an Einsichten, tief getroffen, und mit der Gewissheit, dass manche Zeilen zwischen den Zeilen niemals verstummen werden.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.